Von einem absoluten Flugängstling zu einem leidenschaftlichen Luftsportler
Carl aus Achim
Der Anblick, wie ein Flugzeug sich vom Boden löst und elegant in die Lüfte steigt, um dann dort frei und unverbunden wie ein Vogel durch die Länder fliegt, ist wirklich schön. Doch bei dem Gedanken in so ein Flugzeug zu steigen lief es mir eiskalt den Rücken runter. Das Gefühl des Ausgeliefertseins und der große Zweifel an die Sicherheit des Fliegens löste in mir Panik aus.
Wenn es sich wirklich nicht vermeiden lassen konnte, musste ich leider aus beruflichen und privaten Gründen in ein Flugzeug steigen. Dies tat ich aber immer äußerst ungern, denn schon Tage vor dem Abflug war ich extrem angespannt und konnte Nächte lang kein Auge schließen. Ein Arzt würde meinen damaligen Flugangst-Zustand als äußerst akut beschreiben.
Der Höhepunkt meiner Flugangst fand bei einem Flug von Bremen nach London statt. Angespannt und schlaflos habe ich meinen Mut zusammengerissen und ging über die Passagierbrücke in das Flugzeug. Verschwitzt und nervös saß ich auf meinem Platz, als die Stewardess die Flugzeugtür schloss. Als der Flieger begann, aus der Parkposition raus zurollen, konnte ich meine Flugangst und das Gefühl des Ausgeliefertseins nicht mehr unter Kontrolle halten und hatte das starke Bedürfnis diesen Flieger sofort zu verlassen.
Freundlicherweise war die Kabinencrew sowie der Pilot so nett und haben nochmal den Flieger angehalten und mich herausgelassen. Dies ist ein Gefühl, welches man keinem weiteren Menschen wünschen möchte. Denn man muss sich eingestehen, dass man für so eine vermeintlich einfache Sache, wie dem Fliegen, nicht in der Lage ist. Seit diesem Vorfall habe ich kein weiteres Flugzeug mehr betreten.
Ich bin ein Mensch der über seine Probleme, Schwächen und Ängste redet, denn nur so besteht die Möglichkeit, dass diese auch gelöst werden. So hat sich meine Flugangst in meinem Freundeskreis herumgesprochen und ich konnte einen alten guten Freund auf eine ganz neue Weise kennenlernen.
Leider war mir nicht bekannt, dass mein Kumpel Malte Sommer seit langen Jahren fliegt und zugleich Fluglehrer ist. Malte und mich verbindet die Liebe zur Musik und als er von meiner Flugangst hörte, bot er mir sofort seine Hilfe an. Er war der Meinung, dass er mir die Flugangst nehmen könne, wenn er mich in einer Vereinsmaschine vom Verdener Luftfahrt-Verein mitnehmen würde. Ich war Malte äußerst dankbar, dass er mir seine Hilfe angeboten hat, doch ich war etwas skeptisch, denn ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt bereits mit meiner Flugangst abgefunden.
Malte ist ein Mensch, der sehr ehrgeizig ist und ließ deshalb nicht locker. Eines Tages, als ich auf meinem Balkon saß und das Wetter genoss, klingelte mein Handy. Es war Malte und er sagte mir, dass es keine besseren Flugbedingungen gäbe, als an diesem Nachmittag. Er bat mich zum Flugplatz Verden-Scharnhorst, denn diese optimalen Wetterereignisse gäbe es nicht oft.
Geschmeichelt von Malte's Bemühungen mir bei meinem Problem zu helfen, wollte ich ihn nicht nochmal enttäuschen und machte mich deshalb auf den Weg zum Flugplatz. Bereits am Telefon sagte ich zu Malte, dass ich mir das erstmal nur angucken möchte. Auf dem ca. 20-minütigen Weg zum Flugplatz Verden-Scharnhorst überlegte ich mir jegliche Argumente, wie ich Malte davon überzeugen kann, NICHT zu fliegen.
Am Flugplatz angekommen, bekam ich feuchte Hände, war sehr angespannt und nervös. Meine Flugangst machte sich bemerkbar und ich hatte wieder dieses Gefühl, welches ich kurz vor dem Start auf dem Flug nach London hatte, als ich aufgrund der Flugangst wieder aus dem Flugzeug aussteigen musste.
Als ich Malte begrüßte und weitere Vereinsmitglieder kennengelernt habe, konnten diese mir schnell die Anspannung durch eine ruhige und sehr freundliche Atmosphäre nehmen. Ich fühlte mich sofort wohl, denn jedes Vereinsmitglied hat mein "Problem" respektiert und wollte mir helfen, diese Flugangst abzustellen. Nach einem kurzen "Smalltalk" wurde mir die Maschine mit allen technischen und sicherheitsrelevanten Details gezeigt. Daraufhin wurde ich gefragt, ob ich mich in der Lage fühle, eine Platzrunde mitzufliegen.
Die gesamte Umgebung vom Flugplatz Verden-Scharnhorst wirkte auf mich äußerst vertrauensvoll. Ich merkte, dass in diesem Verein Sicherheit höchste Priorität hat und dass die Mitglieder des Verdener Luftfahrt-Vereins ihr Handwerk verstehen. Ich entschied mich mit zufliegen, denn mir wurde versichert, dass ich bei einem möglichen Panikanfall nach spätestens 5 Minuten wieder am Boden sei.
Gemeinsam mit Malte besprachen wir die Platzrunde, die Flugroute und haben das Flugzeug gecheckt. Nun saß ich im Flieger und jede Handlung oder Handgriff wurde mir ausführlich erklärt. Dann wurde der Motor angemacht und das Motorgeräusch weckte die Flugangst in mir. Ich bekam feuchte Hände und wurde nervös. Es wurde stets nach meinem Zustand gefragt und wenn ich gesagt hätte, dass ich nicht mehr kann, dann hätten wir den Flug abgebrochen. Doch ich nahm meinen gesamten Mut zusammen und wollte in die Luft. Ich wollte meine Flugangst besiegen! Vor dem Start wurden mir die Abflug- und Sicherheitsverfahren im Notfall erklärt. Es wurde mir erklärt, welche Parameter auf welchen Instrumenten beim Start eingehalten werden müssen. Wir rollten auf die Piste und ich war stets konzentriert, dass einzelnen Instrumente ihre Parameter einhalten. Der Gashebel wurde reingeschoben und durch meine ständige Kontrolle der Instrumente sowie der ausführlichen Erklärung im Vorfeld, machten sich während des Starts keine Anzeichen von meiner Flugangst bemerkbar.
Bei meinem ersten Blick aus dem Fenster wurde mir jedoch wieder etwas mulmig. Malte fragte stets wie ich mich fühle und bevor ich sagen konnte, dass ich doch lieber an den Boden möchte, wurde ich gefragt, ob ich auch mal das Steuerhorn halten möchte. In diesem Moment war ich etwas überrascht und fragte ihn, ob er wirklich meinte, dass ich weiterfliegen kann. Ich erinnerte mich, dass Malte Fluglehrer ist und seine Flugschüler auch irgendwann mal selber fliegen müssen. Nach mehrmaligen Nachfragen, ob er es wirklich ernst meinte, dass ich steuern darf, übernahm ich die Ruder. Ich hätte es nicht gemacht, wenn Malte mir nicht das Gefühl gegeben hätte von absoluter Sicherheit im Cockpit. Das Gefühl, dass ich das Flugzeug unter Kontrolle hatte, war unbeschreiblich. Ich fühlte mich sicher, denn ich hatte das Flugzeug in meinen Händen.
Malte bot mir an, einmal über den Bremer Flughafen zu fliegen und dann über meinen Wohnort Achim zurück nach Verden. Der Funkkontakt mit dem Bremer Tower und das Fliegen zwischen den großen Passagierflugzeugen faszinierte mich. Nun steuerte ich ein Flugzeug über meinen Wohnort Achim. Teilweise konnte ich nicht das schöne Panorama von Achim bewundern, da ich so sehr mit den Bordinstrumenten und dem Flugzeug beschäftigt war. Dieses Gefühl, das Flugzeug in der Hand zu halten und frei wie ein Vogel durch die Lüfte zu fliegen, beflügelte mich. Kurz vor Verden übernahm Malte wieder das Ruder und wir setzten zur Landung an. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich gar keine Flugangst mehr habe und es einfach nur noch schön fand in der Luft zu sein.
Am Boden angekommen konnte ich nicht glauben was passiert ist. Ich war fast sprachlos, denn am Boden konnte ich nur noch folgende vier Wörter sagen: DAS WILL ICH KÖNNEN!
In meiner Wohnung angekommen ging mein erster Weg an den Computer. Ich informierte mich über jegliche Voraussetzungen und Ausbildung zur Privatpilotenlizenz. Am nächsten Tag telefonierte ich mit Malte und besprach mit ihm meine Wünsche und Vorstellungen. Kurze Zeit später saßen wir wieder für 2 Stunden im Flugzeug. Anschließend folgte ein informatives Gespräch über die Ausbildung mit dem Leiter der Motorflugschule. Ich hätte schon an diesem Abend unterschrieben, jedoch wurde mir erstmal geraten darüber ein paar Nächte zu schlafen. Die Nächte darauf träumte ich vom Fliegen und mir war klar, dass ich Pilot werden möchte. Ich traf mich mit dem Ausbildungsleiter und unterschrieb dann den Antrag.
Dies ist nun 2 Jahre her. Seit dem habe ich versucht jede freie Minute in der Luft zu sein. Die Lust des Fliegens ist unermüdlich. Inzwischen bin ich stolzer Inhaber einer Pilotenlizenz und habe kurz darauf meinen Luftsportgeräteführerschein für Ultraleichtflugzeuge gemacht. Des Weiteren habe ich die Ausbildung für Segel- und Motorsegelflugzeuge begonnen. Auch nach der Ausbildung verbringe ich viel Zeit auf diesem Flugplatz, denn das Fliegen verbindet. Wenn ich nicht in der Luft bin, sitze ich auch gerne auf der Terrasse vom Verdener-Luftfahrt-Verein und beobachte die Flugschüler*innen beim Fliegen. Oft unterhält man sich dann mit weiteren Pilot*innen über Erfahrungen oder geplante Ausflüge. Denn der Verdener Luftfahrt-Verein ist wie eine Familie. Ich komme gerne zum Flugplatz Verden-Scharnhorst, denn uns verbindet alle eins. Das Fliegen!
Als ich mir diesen Erfahrungsbericht abschließend durchgelesen habe, konnte ich es selber kaum glauben, dass eine Stunde Fliegen mich um 180° verändert hat. Von einem absoluten Flugängstling zu einem leidenschaftlichen Luftsportler.
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